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Geschichten: James Blackforest

9. Weihnachten und der Stern zu Bethlehem

Claudia Schreibspechteimer von der Kommunalen Parkraumüberwachung hat einen Mann, der Alkoholiker ist. Sie leben getrennt, aber sie hat noch die Vormundschaft über ihn. Schon zig Entzugskuren hat Manfred Schreibspechteimer ohne Erfolg hinter sich.

Dieser hat wirklich seine eigene Geschichte. Manfreds Eltern hatten eine Gärtnerei in Bühl. Die Eltern hatten nie Zeit für ihn. Er war das einzige Kind. Oft gaben sie ihm Geld für Eis, damit der Junge zufrieden war und er die Eltern im Geschäft nicht störte. In der Schule hatte er stets gute Noten, auch seine Gärtnerlehre schloss er mit Bravour ab und machte später sogar den Meister. Aber, er brauchte viele Freunde als Ersatz für die Liebe, die er von den Eltern nicht bekam. Stattdessen gaben sie ihm Geld, mit dem er sich quasi „Freunde“ kaufte. Gern gab er einen aus. Er mochte auch gerade diese Geselligkeit, die mancher ausnutzte. Wie oft war er schon der Star, wenn er einen ausgab! Viele zählten sich zu seinem Freund, solange er das Geld locker in der Tasche hatte.

In dieser Zeit lernte Manfred Claudia kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Lokalbesuche wurden zur Nebensache. Ernsthaft bemühte er sich in der Gärtnerei der Eltern, die ihn jedoch nicht ernst nahmen. Er heiratete Claudia gegen den Willen der Eltern. Gleich nach der Hochzeit brachte der Klapperstorch Angela. Den Eltern konnte Manfred nichts im Geschäft und privat recht machen. So griff er wieder zur Flasche. Zunächst heimlich und schließlich konnte er es nicht mehr verbergen, weil er nach Alkohol roch. Claudia mochte nicht mehr neben ihm schlafen. Einmal weil er roch, zum anderen, weil er jetzt auch fürchterlich schnarchte. Dann starb seine Mutter an Darmkrebs. Am Grab der toten Mutter versprach der Vater Otto Schreibspechteimer, seinem Sohn Manfred und Claudia zu helfen. Der Vater brauchte nun dringend seinen Sohn und ebenfalls Claudia, die manchmal nach Büroschluss im Laden half, so gut wie sie konnte. Denn sie hatte ja noch Angela zu versorgen. Angela versöhnte des Vaters Herz. Wenn sie im Laden war, der Mutter half oder für den Vater die Waage bediente — sie war einfach goldig und süß.

In einem Krankenhaus machte Manfred eine Entzugskur mit Erfolg. Jedoch schon nach vier Wochen war wieder der Alkohol der Mittelpunkt. Die Kneipen wurden zu seiner zweiten Heimat. Und wieder machte er eine Kur, mit dem gleichen Erfolg, dann noch eine Dritte und so weiter. Claudia zog dann mit Ihrer Tochter nach Offenburg. Der Vater Otto Schreibspechteimer verkaufte die Gärtnerei und ging in Rente. Immobilien sichern seinen Lebensunterhalt. Manfred ist schon lange arbeitsunfähig. Er bezieht auch eine Rente und lebt in einer kleinen Eigentumswohnung vom Vater. Er hat längst eine andere Lebensgefährtin gefunden, die ebenfalls dem Alkohol zugeneigt ist. Der Vater unterstützt Claudia allein dadurch, weil er seine Enkelin sehr liebt. Sie ist es, die ihm die Lebensfreude oben hält. Claudia fand dann schließlich bei der Kommunalen Parkraumüberwachung einen Job.

Claudia, Angela, Robert und James Blackforest feiern den ersten Advent
Auf dem Wohnzimmertisch in James Haus liegt ein Adventkranz. Eine Kerze brennt. Es gibt Glühwein und Claudia hat einen Stollen gebacken. Vergnüglich bei klassischer Musik sitzen alle um den Wohnzimmertisch. Das spärliche Licht der Kerze erweckt eine warme Atmosphäre, denn das Wohnzimmerlicht ist aus. Man erzählt „lustigen Geschichten“ aus der Vergangenheit.
Weihnachten wird bei James gefeiert, so beschließt die Runde. Denn Claudias Wohnung ist viel zu eng.
James erzählt von dem traumhaften Weihnachtsmarkt in Rosenheim. Eine Stadt in Oberbayern. Stimmungsvolle Beleuchtung und liebevoll geschmückte Buden mitten in der alten Stadt. Es gibt viel Kunsthandwerkliches, Handpuppen, Weihnachtsdeko, Engelchen und auch Bratwürste.
“Wisst ihr was? Wir fahren am übernächsten Wochenende einfach da hin!“, schlägt James vor.

Auf dem Gelände der Kuckucksuhren Vertriebsgesellschaft Mittelbaden räumt James Blackforest zum ersten Mal Schnee. Es ist nicht viel gefallen. Mit dem Besen fegt er den Gehweg, den ganzen Eingangsbereich und streut Sand auf den Parkplatz. Frau Blinzeltreu, die Geschäftführerin der Kuckucksuhren Vertriebsgesellschaft Mittelbaden ist sehr zufrieden mit dem Hausmeister James Blackforest. Er wird auch zur Weihnachtsfeier eingeladen und als „Ein Mann für alle Fälle“ dort geehrt. Frau Blinzeltreu bezieht auch den Hauswein von James Blackforest. Sie ist von dem Buquet sehr begeistert.

Bei der Wohnanlage in der Hildastrasse ist der Schnee auf dem Gehsteig bereits weggetaut, jedoch im Hinterhof und dem Weg zum Rückgebäude muss noch geräumt werden. Der Winter ist für einen Hausmeister eine schwierige Zeit, denn er muss ständig den Wetterbericht hören und eigentlich muss ja vor sieben Uhr geräumt sein. Hin und wieder beschweren sich Leute, weil ein Heizkörper nicht geht. James ist dies recht, so bleibt er auf diese Art und Weise mit den Bewohnern in Kontakt.
Peter und Paul, die Zwillinge, die zwei Heiligen aus dem zweiten Obergeschoss, halten den James Blackforest mit Streichen auf Trapp, aber im Innersten kann er über ihre Streiche herzlich lachen und möchte diese beiden nicht vermissen. Damit man die zwei unterscheiden kann, trägt Peter eine rote Mütze und Paul eine blaue Mütze, die sie allzu oft vertauschen. Die Mutter ist die einzige Person, die Peter und Paul auch ohne Mützen kennt. Der Lehrer in der Schule kann ein Lied von ihnen singen und kürzlich kam wieder ein Blauer Brief, weil sie es doch zu krass trieben. Die beiden haben Fahrräder, die im Hof standen und die sie tragen konnten, im Klassenzimmer aufgestellt. Fahrrad um Fahrrad wurde, am Hausmeister vorbei, ins Klassenzimmer getragen und ein Rennrad hing an der Schultafel. Sie wurden von einem Schüler gesehen, wie sie zu zweit ein Fahrrad die Treppe hoch trugen. Der Hausmeister verbrachte über zwei Stunden mit Fluchen, während er die Räder wieder aus dem Klassenzimmer holte. Ehe er es gemerkt hat, waren die beiden allerdings verschwunden.

Die Zeit vergeht im Sauseschritt
Am Samstag, vor dem dritten Adventsonntag, trifft man sich zu einem kurzem Frühstück ins James Küche.
Über den Südring geht es mit James Auto zum Offenburger Ei, von dort auf die Autobahn nach Karlsruhe und weiter auf der A8 über Stuttgart nach München. In der Schwanthaler Straße, nicht weit vom Stachus, findet man einen Parkplatz. Man besucht verschiedene Kaufhäuser in der Fußgängerzone. Die gekauften Waren verstaut man im Auto. Nun fahren sie über die Sonnenstaße, am Sendlinger Tor vorbei zum Viktualienmarkt. Am Gärtnerplatz findet man endlich, nach dreimal um den Block fahren, einen Parkplatz. James kennt das Parkproblem bereits, er hat ja eine lange Zeit in München gewohnt. Zu Fuß gehen sie die Reichenbachstraße hoch zum Viktualienmarkt. In der dortigen Suppenküche schlürfen sie zunächst mal eine Suppe. Denn sowas gibt es in Offenburg nicht.

Hinterher geht es noch zu dem Wurststandl, wo früher der James seine Weißwurst aß und wo sonst die Münchener ihren Leberkäs essen und jedem Nichtbayer erklären, wie man eine Weißwurst zuzelt. Angela, Robert und Claudia bestellen sich Weißwürste mit süßem Senf. Mit der Bretschel gibt es Schwierigkeiten, denn das Wort Bretschel kennt die Standlfrau nicht, oder wollte es einfach nicht verstehen. James nahm sich ein Herz und übersetzte. Sie wollen "a Brez'n" haben! James bestellt sich Stockwürste. Diese sehen aus wie Knackwürste, haben aber eine weiße Haut und haben etwas mehr Schweinefleisch als die Weißwürste. Sie werden die Weißwürste für arme Leute genannt. Am Stehtisch gesellt man sich zu einer Runde und ißt gemütlich die Weißwürste. Ein Münchner kommt dazu, auf dem Tablett ein Weißbier und einen Teller mit einem dicken Leberkäs, süßem Senf und Brezen. Er sagt zunächst nichts, dann aber: „Nach elf Uhr frisst ma koane Weißwürst´net!
Der James: „Des isch mir Wurscht.“
“Ha, Blitzschwob!!!", jetzt der Bayer.
Der James kontert ganz cool: "Nein wir sind alemanischen Ursprungs, echte Gelbfüßler, du Österreicher.“
Dem Bayer bleibt den Leberkäs im Hals stecken, denn die Bezeichnung „Österreicher“ ist für einen Bayer eine noch schlimmere Beleidigung, als wenn man zu ihm Wolpertinger sagen würde.

In der neuen Schrannenhalle trinken sie noch Kaffee und gehen danach zum Marienplatz. Dort bestaunen sie das neue Rathaus, den großen Tannenbaum, der vor dem Rathaus steht und auch den Weihnachtsmarkt. Über den Viktualienmarkt geht es dann wieder zurück in die Reichenbachstraße zum Gärtnerplatz. Über die Rosenheimer Straße fährt man durch Haidhausen Richtung Ramersdorf direkt auf die Salzburger Autobahn. Man spricht über den Ramersdorfer Kirchturm, denn es ist zum ersten Mal, dass Claudia, Robert und Angela eine Zwiebelhaube sehen.
Beim Irschenberg staunt man über die schöne bayerische Landschaft. Im Süden tauchen die Alpen auf. Die Kuppen sind mit Schnee bedeckt. Auf den Wiesen links und rechts der Autobahn, liegt ebenfalls Schnee.
Bei Raubling verlässt man die Autobahn und fährt an dem Stadtteil „Heilig Blut“ vorbei nach Rosenheim. In einem Hotel in der Münchener Straße hat James zwei Doppelzimmer bestellt. Man macht sich zunächst mal frisch und trifft sich dann wieder in der Eingangshalle.

Alle haben Hunger. Zu Fuß gehen sie die Münchener Straße hoch zum Max-Josef-Platz, wo der Weihnachtsmarkt ist. Robert entdeckt auf der rechten Seite ein Sushi-Restaurant. Man ist sich schnell einig. Claudia, Angela und Robert waren noch nie in einem Sushi-Restaurant. Sie setzen sich an das Susha-Transportband. Beim Kellner bestellen sie zunächst mal Tee. Jeder bekommt einen Napf und Stäbchen. Es gibt zwei Transportbänder hinter Glasschiebetürchen. Auf dem oberen gibt es warme Gerichte in kleinen appetitlichen Portionen auf kleinen Untertellern und auf dem unteren Transportband die kalten Gerichte, Sishi, Salate und Obst usw. James erklärt nun, wie man mit Stäbchen ist. Vergnügt holt man ein Tellerchen nach dem anderen vom Fließband. So viel und gut haben sie schon lange nicht mehr gegessen.

Es ist sehr spät. Der Weihnachtsmarkt ist längst geschlossen. Die kleine Gesellschaft geht nun zurück ins Hotel.

Gleich nach dem Frühstück packt man die Koffer und verstaut diese im Auto. Das Auto verbleibt noch in der Hoteltiefgarage. Zu Fuß geht es wieder zum Weihnachtsmarkt. Jede Bude wird geprüft. In einer gibt es wundervollen Kerzen. Claudia kauft auch gleich welche. In einer anderen kunstvolle Krippen, in der nächsten Engelchen und Hirten aus Holz geschnitzt. Auf der Bühne singt ein Damenchor Weihnachtslieder. Nicht weit vom Café Meister Berg entdecken sie in einer Bude, man glaubt es kaum, einen lebendigen Waschbären auf dem Arm einer Dame herumkuscheln.
Nach näherem Begutachten kommen sie doch zum Schluss, dass dies eine Handspielpuppe ist. Sie macht es wirklich raffiniert. Auf dem Tisch sind verschiedenen Tiere, wo unten ein Loch für die Hand ist. Hinten auf dem Regal lümmeln noch Mädchen und Burschen, achtzig Zentimeter hoch, mit frechen Gesichtern und Kleidung. Hinter dem Kopf, unter dem Haar ist ebenfalls ein Loch, wo man seine Hand hinein tun kann, um die Puppen zum Leben zu erwecken.

Eine Bude weiter findet man Strohsterne in unterschiedlichen Größen, auch mit Schweif. Den größten nimmt James mit. Das ist der Stern von Bethlehem. Der kommt auf den Christbaum.
Im Cafe Meister Berg kehren sie noch ein, ehe sie sich dann auf den Nachhauseweg machen.

Es ist Sonntagabend und bereits sehr dunkel. Alle sind recht müde nach der langen Fahrt und sitzen nun in James Küche auf der Eckbank. James macht noch schnell einen Kaffee. Es gibt Wurst, Käse und Brot zum Abendessen. Alle sind glücklich. Der Wochenendtrip war schön und das Beste war doch der Rosenheimer Weihnachstmarkt und der gemütliche Max-Josef-Platz.

Am Heiligen Abend
Es ist Nachmittag und im Wohnzimmer steht eine Tanne, noch ohne Schmuck. Angela und Robert schmücken hüfteschwingend bei weihnachtlicher Musik den Baum, während Claudia in der Küche kocht und James eine Bowle macht. Alle sind glücklich und gut gelaunt. Otto Schreibspechteimer kommt auf Besuch. Er bringt Geschenke mit, wünscht "Fröhliche Weihnachten". Claudia umarmt ihn und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. Er hat es im Augenblick nicht leicht, denn Manfred liegt wieder im Krankenhaus, festgeschnallt, dass er nicht abhaut. Er hat Unterzucker. Er ist beim Biereinkaufen auf der Straße zusammengebrochen. Otto wäre gerne geblieben, aber er fährt zu seiner Schwester nach Kehl, so wie jedes Jahr.
James deckt den Wohnzimmertisch. Der Baum ist kunstvoll geschmückt, mit Kugeln, Lametta, Kerzen, Strohsternen, Engelchen und die Spitze ist mit dem Großen Stern von Bethlehem geschmückt. Unter dem Baum liegen die Geschenke.
Claudia serviert das Essen. Wie das duftet, Bayerischer Rautenfisch in dunkler Biersoße mit Blaukraut und Kartoffelködel. James öffnet einen Rotwein. Angela zündet die Kerzen am Weihnachtsbaum an. Das Wohnzimmerlicht wird gedimmt. Gemütlich sitzt man jetzt beisammen und ißt.

Nach dem Essen ist dann Bescherung. Man hört nur noch „oh“, „hurra“, „danke“. Jeder ist überrascht und überglücklich. James kredenzt nach der Bescherung einen alten französischen Branntwein. Der tut dem Bayerischen Rautenfisch im Magen recht gut.

James kennt jemand aus dem Vorstand des Angelsportvereins. Die sollen bereits Bayerische Rautenfische im Baggersee haben. Obwohl die baden-württembergische Landesregierung vor dem Verzehr warnt, wissen bereits Insider, dass der vorzüglich schmeckt. Ergebnisse von wissenschaftlichen Untersuchungen stehen noch aus, weil sie nichts Nachteiliges finden konnten. Sogar Prof. Hubertus Häberle vom Institut für Gliederfüßler, Wirbeltiere und Bayerische Rautenfische, soll gesetzeswidrig sich einem Selbstversuch unterzogen haben, indem er einen Bayerischen Rautenfisch selbst bei vollem Bewusstsein verzehrte. Bei dem Versuch an angeschlossenen Apparaten und Messinstrumenten wurde nichts Nachteiliges aufgezeigt. Versuche und Studien werden fortgesetzt.

Die nächste James Blackforest Geschichte:
Eisige Kälte im Januar!


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22.12.2005

 

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